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Zusammenspiel der Realiatete als eines der Hauptprinzipien des Sujetaufbaus im Roman Stiller von Max Frisch

Personen berichtet werden, und denen, die der Ich- Erzaehler in der

Gegenwart selbst ausspricht.

Im Rahmen der vorliegenden Analyse ist gerade Whites Position

gegenueber der Schweiz von Bedeutung, insbesondere in ihrer Opposition zu

Amerika, weil sie zu einem Instrument des Zusammenspieles zwischen Fakt und

Fiktion wird.

Die Gesellschaftskritik Mr. Whites ist durch die Form bestimmt. Der

Ich- Erzaehler tritt als Amerikaner auf, er schildert die Welt, die er

sieht, quasi von aussen, als Fremder, wenn er schreibt: " Zuerich koennte

ein reizendes Staedchen sein" (Frisch 1992: 77) (und darin liegt schon eine

gewisse Kritik), wenn er Zuericher Grossmuenster "eine Art kleine

Kathedrale" nennt, so glaubt man zunaechst, White sei wirklich ein Fremder.

Allmaehlich aber gewinnt seine Kritik an der Schweiz eine Schaerfe, wie sie

ein Fremder wohl nicht aufbraechte. Der Verteitiger nimmt es auch als

Beweis dafuer, dass sein Mandant Schweizer und somit der gesuchte Stiller

ist.

" Sie wollen mir nur vormachen, dass Sie kein Schweizer sind und somit

nicht Stiller", sagt er, " aber Sie werden mir nichts vormachen; ihr Hass

gegen die Schweiz beweisst mir noch lange nicht, dass Sie kein Schweizer

sind. Im Gegenteil!" ruft er, da ich lache, " gerade damit verraten Sie

sich." (Frisch 1992: 196)

Der Tagebuchschreiber betont jedoch, dass seine Kritik eigentlich

nicht der Schweiz gelte: " Ich hasse nicht die Schweiz, sondern die

Verlogenheit" (Frisch 1992: 196). Diese Erscheinung ist keinesfalls auf die

Schweiz beschraenkt, entzuendet aber stets die Kritik an den Schweizer

Verhaeltnissen. Sie scheinen alles zusammenzufassen, was Stiller an der

buergerlichen Gesellschaft ueberhaupt kritiesiert. Das haengt wohl mit der

Funktion zusammen, die die Schweiz fuer ihn und seine Identitaetsfindung

hat. So meint Jurgensen: " Stillers Gesellschaftskritik ist ein

wesentlicher Bestandteil seiner Selbstanalyse" (Juergensen 1972: 80)

1. Die raeumliche Perspektive

Der Schweiz, deren raeumliche und geistige Enge Stiller ein Aergernis

ist, wird im Roman ein Gegenbild gegenuebergestellt: Amerika, Sinnbild der

Weite, des urspruenglichen, nicht genormten Lebens.

In folgenden Zitaten kommt diese Gegenueberstellung durch die Wortwahl

zum Ausdruck, wobei fuer die Schweiz Epitheta wie "klein, angemessen,

genuegend" und fuer Amerika solche wie "gross, gluehend, unsaeglich,

bluehend" gewaehlt werden:

"Meine Zelle- ich habe sie eben mit meinem Schuh gemessen, der nicht

ganz dreissig Zentimeter hat - ist klein wie alles in diesem Land, sauber,

so dass man kaum atmen kann vor Hygiene, und beklommend gerade dadurch,

dass alles recht, angemessen und genuegend ist." (Frisch 1992: 15-16)

"Ich sitze in meiner Zelle, Blick gegen die Mauer, und sehe die

Wueste. Beispielsweise die Wueste von Chihuahua. Ich sehe ihre groesse Oede

von bluehender Farben, wo sonst nichts anderes mehr blueht, Farben des

gluehenden Mittags, Farben der Daemmerung, Farben der unsaeglichen Nacht."

(Frisch 1992: 26)

Stiller versucht dem engen und konventionellen Leben in Europa zu

entfliehen und auf dem neuen Kontinent ein freieres Leben zu beginnen.

Allerdings soll diese Deutung eingeschraenkt werden: Sie gilt im "Stiller"

vor allem fuer Mexiko. Was Stiller fasziniert, ist nicht nur die Weite, die

metaphorisch fuer seelische Freiheit steht, sondern auch die

Selbstverstaendlichkeit, mit der die Menschen in Mexiko dem Leben und Tod

gegenueberstehen. Der Erinnerung an den Totentag in Mexiko wird kurz darauf

der Besuch auf dem Friedhof in Zuerich am Grabe der Mutter

gegenuebergestellt: hier die wortlose Hilfslosichkeit zweier Protestanten

gegenueber dem Phaenomen des Todes, dort der selbstverstaendliche Einklang

von Leben und Tod.

" Ich muss […] an den Totentag denken, wie ich ihn auf Janitzio sah,

an die indianischen Muetter, wie sie auf den Graebern kauern die ganze

Nacht, alle in ihren festlichen Trachten, sorgsam gekaemmt wie fuer die

Hochzeit, und scheinbar geschieht ueberhaupt nichts, der Friedhof ist eine

Terrasse ueber dem schwarzen See[..], ein Friedhof ohne einen einzigen

Grabstein oder sonst ein Zeichen […], dazu die Teller mit allerlei Speisen,

die mit einem sauberen Tuechlein bedeckt ist, vor allem aber das sonderbare

Ding, das mit weihnachtlicher Liebe gebastelt worden ist, ein Gestell aus

Bambus, daran das Gebaeck und Blumen, die Fruechte, das bunte Zuckerzeug."

(Frisch 1992: 319)

"Das Grab der Mutter: - wie Graeber hierzulande eben sind, mit

gestelltem Granit saeuberlich eingefasst, alle etwas zu kurz, so, dass man

den Schrecken hat, den Toten auf den Fuessen zu stehen, dazwischen

Kieswege, immergruen am Rand, in der Mitte des Grabes eine toenerne Vase,

ein paar welke Astern drin, hintern dem Stein eine rosige Blechbueckse, um

die Blumen zu begiessen." (Frisch 1992: 324)

Sehr viel kritischer aeussert sich der Tagebuchschreiber ueber New

York. Waehrend der Staatsanwalt von der Rainbow- Bar schwaermt, erzaehlt er

ihm von der Bowery, einem "Viertel, wo auch die Polizei nicht mehr hingeht,

Gefilde der Verlorenen" (Frisch 1992: 176), wo er in einem betrunkenen

Greis seinen Stiefvater zu erkennen glaubt. Hier zeigt sich, dass es

Stiller nicht um die Gesellschaftskritik geht, sondern dass er ueberall

seine persoehnliche Problematik sieht. Dies geht auch vor allem aus der

Schilderung seiner ersten Eindruecke nach der Landung hervor, wo es heisst:

" Ich sah die Praerie, die Schlaechtereien von Chikago, die Mormonen,

die Indianer, die groesste Kupfergrube der Welt […]." Und doch verfolgt ihn

der Gedanke an seine " grazile Balletteuse". (Frisch 1992: 338)

Diese Stelle im Roman zeugt davon, dass der Ankoemmling, der von

seinem frueheren Leben flieht, seine Identitaet leugnet, trotzdem seine

Vergangenheit mit seiner Gegenwart vergleicht, mit anderen Worten sie nicht

loswird.

2. Die zeitliche Perspektive

Wie gesagt, kann der Tagebuchschreiber seine Vergangenheit nicht

abschuetteln. Diese Tatsache widerspiegelt sich auch auf der Zeitebene, wo

Vergangenheit und Gegenwart ineinander verflochten bleiben. Dadurch

entstehen Brechungen, sodass sich Ereignisse gegeseitig spiegeln und

erhellen.

Keine chronologisch erzaehlte Handlung ist im Roman vorhanden, sondern

ein kompliziertes Geflecht mehrerer Zeitebenen. Die Vergangenheit wird in

Form von Rueckerinnerungen und Berichten in die Gegenwart hereingeholt und

mit ihr konfrontiert.

"Ich soll mein Leben erzaehlen, und wenn ich versuche, mich

verstaendlich zu machen, sagen sie: Hirngespinste! […]. Mein Verteidiger

hoert zu, solange ich von meinem Haus in Oakland rede, von Negern und

anderen Tatsachen; sowie ich zur wahren Geschichte komme […] putzt mein

Vertedtiger sich die Fingernaegel, wartet nur darauf, mich zu unterbrechen

mit irgendeiner Lappalie: "Sie hatten ein Haus in Oakland?" […] Es war vier

Meter breit und dreizehn Meter lang (mein Verteitiger notiert, das ist es,

was er wissen will!) und eigentlich, ganz genau zu sein, war es eher eine

Schindelhuette." (Frisch 1992: 60-61)

In diesem Zusammenhang kann man behaupten, dass die Zeit zum Objekt

und zugleich zum Instrument im Zusammenspiel der Realitaeten wird.

Wenn wir die Zeitstruktur des Romans unter die Luppe nehmen, ist auch

in erster Linie zwischen dem schweizerischen und amerikanischen/

mexikanischen Text zu unterscheiden. Fuer das, was aus Amerika berichtet

wird, ist keine genaue Datierung festzulegen, mit Ausnahme des

Selbstmordversuchs, den Stiller vor seiner Rueckkehr unternimmt. White hat

also keine Vergangenheit, die sich erzaehlen liesse, er gibt nur einzelne

Impressionen wieder, einzelne, nicht chronologisch aufeinander folgende

Erinnerungen, die sich meist auf den Aufenthalt in Mexiko beziehen. Diese

Mexiko-Erinnerungen sind haeufig im Praesens geschrieben, ein Zeichen fur

eine Art Zeitlosigkeit des dortigen Lebens.

Im Unterschied dazu ist fuer den 'schweizerischen Text' eine andere

Zeitform, das Praeteritum, charakteristisch.

"Auf dem Tischlein standen drei Rosen, alles im Preis inbegriffen und

alles, versteht sich, bei Kerzenlicht." (Frisch 1992: 298)

"Mexiko! Man erinnert sich an Farbfilme, und genauso ist es,

malerisch, sehr malerisch, und doch, in Wirklichkeit, gibt es Augenblicke,

wo man sich ploetzlich fuerchtet. Es stinkt nach einem toten Hund. Kinder

sitzen mit nacktem Hintern auf dem Unrat, auf dem Faeulnis alter Fruechte.

Auf dem Boden liegt die Ware, ich sehe sie noch heute: Bohnen und Erbsen,

Nuesse, Fruechte, die ich zum erstenmal sehe. " (Frisch 1992; 29)

Es sind die Impressionen eines rollenlosen, entindividualisierten

Ichs, (Lusser- Mertelsmann 1976: 62) das keine Vergangenheit und keine

Zukunft kennt. Diese gewissermassen zeitlose Existenzweise wird auch vom

Tagebuch-Ich uebernommen, das entgegen dem ueblichen Gebrauch seine

Eintragungen ohne Datum vornimmt. Wir koennen zwar den Fruehherbst 1952 als

Datum der Rueckkehr festlegen, erfahren aber nicht genau, wie lange die

Untersuchungshaft dauert.

Die Gegenwartsebene- die Monate der Untersuchungshaft, der

schweizerische Text - wird nun der durch Rueckwendung hereingeholten

Vergangenheitsebene gegenuebergestellt. Das 2. Heft holt dabei zeitlich am

weitesten aus, es beginnt mit dem Kennenlernen Stillers und Julikas kurz

nach seiner Ruckkehr aus Spanien und erzaehlt von da an die Geschichte

ihrer Ehe, jedoch nicht einfach chronologisch, sondern nach einer kurzen

Schilderung des Anfangs und der Probleme dieser Ehe springt der Bericht

sofort auf das Krisenjahr 1945 (das war vor etwa sieben Jahren - (Frisch

1992: 94). Dieses wird nun von Julikas Standpunkt aus ausfuehrlich

geschildert, dazwischen aber heisst es: Hier waere etwas nachzutragen

(Frisch 1992: 139), und nun erst erfahren wir Stillers Spanienerlebnis aus

dem Jahre 1935. Dies ist - mit Ausnahme einiger Kindheitserlebnisse, die

aber nicht in unmittelbarer Beziehung zur Handlung stehen - der frueheste

im Roman dargestellte Zeitpunkt. Die Gegenwart macht sich also immer wieder

bemerkbar, auch in den Rueckwendungen.

Die beiden anderen der Vergangenheit gewidmeten Hefte - 4 und 6 -haben

zwar eine einfachere Zeitstruktur, weil sie fast ausschliesslich vom Jahr

1945 handeln. Aber auch hier ist die Erzaehlung immer wieder durch

Einschuebe in der Gegenwart unterbrochen, nicht nur durch die bereits

erwaehnten Bemerkungen und Kommentare des Tagebuchschreibers, sondern auch

durch Ereignisse und Reflexionen in der Gegenwart. So heisst es im 4. Heft

ploetzlich: "Sibylle (die Frau meines Staatsanwalts) hat gestern kurz nach

Mitternacht ein beinahe siebenpfundiges Maedchen geboren" (Frisch 1992:

218), oder im 6. Heft: "Manner sind komisch!" findet Sibylle noch heute""

(Frisch 1992: 284), und nach dem Bericht, dass Sibylle sich in Le Havre

eingeschifft habe: "Mein Freund, der Staatsanwalt, meldet, dass die

Schlussverhandlung (mit Urteilsspruch) auf Dienstag in acht Tagen angesetzt

ist " (Frisch 1992: 308). Die Gegenwart bleibt also im Bewusstsein des

Lesers immer vorhanden. Karlheinz Braun kommentiert diesen Sachverhalt

folgendermassen: "Es ist deutlich, dass in diesen Heften die Vergangenheit

dominiert, doch Frisch macht von der Moeglichkeit, die momentane Gegenwart

aufleuchten zu lassen, so reichlich Gebrauch, dass sich hier Vergangenheit

und Gegenwart eigentuemlich vermischen" (Braun 1959: 78)

Das 7. Heft nimmt sowohl in der Erzaehlhaltung als auch in der

zeitlichen Struktur eine Sonderstellung ein. Es enthaelt zunaechst, ebenso

wie die anderen Hefte mit ungerader Numerierung, Erlebnisse im Gefaengnis,

also in der Gegenwartsebene: Besuch beim Zahnarzt, Gespraech mit dem

Staatsanwalt, Gang auf den Friedhof und Besuch von Freunden, gemischt mit

Reflexionen und Erinnerungen an Mexiko, die uebrigens wieder im zeitlosen

Praesens geschrieben sind. Danach folgt die Rueckwendung auf Stillers

Vergangenheit in der Ich-Form, beginnend mit den Worten: "Es ist ja nicht

wahr [...]" (Frisch 1992: 334). Schliesslich wird ein ganzer Tag im

Gefaengnis protokolliert, eingeleitet durch die Substantive mit zeitlicher

Bedeutung: 1. Der Vormittag, 2. Das Mittagessen, 3. Der Nachmittag. Diese

Protokolle werden immer ausfuehrlicher, der Bericht vom Nachmittag nimmt 23

Seiten ein (355-378). Hier naehert sich die Erzaehlzeit der erzaehlten

Zeit, so wie sich die White-Handlung der Stiller-Handlung naehert und

schliesslich mit ihr verschmilzt. Das Protokoll war bisher die Form, in der

die Vergangenheit Stillers dem Leser vermittelt wurde. Dass sie hier auf

die Gegenwartsebene, den Aufenthalt im Gefangnis, angewandt wird, ist ein

Zeichen dafuer, dass der Tagebuchschreiber White Stillers Vergangenheit als

die seinige uebernimmt. Das Gefuehl ein neuer, anderer Mensch zu sein, das

ihn auch jetzt nicht verlaesst, wird erst jetzt, unmittelbar vor der

Urteilsverkuendung, durch den Bericht von seinem Selbstmordversuch und die

daraus resultierende Empfindung einer Neugeburt begruendet. "Ich hatte die

bestimmte Empfindung erst jetzt geboren worden zu sein, und fuehlte mich

mit einer Unbedingtheit, die auch das Laecherliche nicht zu fuerchten hat,

bereit, niemand anders zu sein als der Mensch, als der ich eben geboren

worden bin, und kein anderes Leben zu suchen als dieses, das ich nicht von

mir werfen kann" (Frisch 1992: 381).

Dies ist die einzige Rueckwendung auf den Amerika-Aufenthalt, die

zeitlich datiert wird: "Vor etwa zwei Jahren versuchte ich, mir das Leben

zu nehmen "(Frisch 1992: 378).

Im Zusammenhang mit dem Gesagten, koennen wir zum Schluss kommen, dass

die Zeit im Roman auch als Element des Spieles fungiert. Das kann durch die

Tatsache bewiesen werden, dass die Zeitlosigkeit im amerikanischen Text als

Zeichen der Irrealitaet des dortigen Lebens fungiert und fuer die Schweiz

dagegen detailierte Zeitangaben typisch sind.

3. Die Stilebene

Nicht nur in raeumlich-zeitlicher Hinsicht lassen sich die Schweiz und

Amerika gegenueberstellen. Diese zwei Welten, zwei verschiedene

Realitaeten, werden auch auf der Stilebene miteinander konfrontiert. Das

gilt in erster Linie Landschaftsbeschreibungen. Nachstehend werden drei

Landschaftsschilderungen aus der sprachlicher Sicht analysiert und

verglichen.

Die erste ist die Beschreibung der Wueste in Mexiko. Hier arbeitet der

Erzaehler mit Anaphern: "Farben des gluehenden Mittags, Farben der

Daemmerung, Farben der unsaeglicher Nacht" (Frisch 1992: 26); mit

Wortwiederholungen: "Sand und Sand und wieder Sand" (Frisch 1992:26), vor

allem aber mit zahlreichen Vergleichen. Bei diesen Vergleichen faellt auf,

dass sie haeufig das Gesagte wieder einschraenken: "wie Orgelpfeifen oder

siebenarmige Leuchter, aber haushoch, […] nicht eigentlich gruen, eher

braeunlich wie Bernstein." (edg.: 26) Manchmal wird auch der poetische

wirkende Vergleich durch den prosaischeren ersetzt: "[…] wie mattes Gold

oder auch wie Knochenmehl" (ebd.) dadurch wird der gehobene Stil immer

wieder gebrochen. Ebenso heisst es am Schluss der Beschreibung der Wueste:

"Es erfuellte uns, ich erinnere mich, ein feierlicher Uebermut; kurz darauf

platzte der hintere Pneu" (Frisch 1992: 27)

Das eben beschriebene Stilmittel wird bei der zweiten grossen

Beschreibung, der New Yorks, noch haeufiger angewandt. Hier werden die

Vergleiche immer wieder praezieser; so heisst es: "[…] rot, nicht rot wie

Blut, rot wie die Spiegellichter in einem Glas voll roten Weines." (Frisch

1992: 315); "oder […] gelb, aber nicht gelb wie Honig, duenner, gelb wie

Whisky, gruenlich- gelb wie Schwefel […] " (Frisch 1992: 316) neben den

zahlreichen Vergleichen gibt es hier auch Metaphern: Teichen voll

Weissglut; Schwaden von buntem Nebel; Sterne ueber einer Sintflut von Neon-

Limonade; Teppiche, die aber gluehen […] usw. (Frisch 1992: 314)

Die Widerspruechlichkeit dieser Riesenstadt, die der Erzaehler eine

"Orgie der Disharmonie" nennt (Frisch 1992: 315), spiegelt sich auch in

antithetischen Figuren, die zwiespaeltige Gefuehle des Erzaehlers zum

Ausdruck bringen. "Menschen oder Termiten; Sinfonie und Limonade; sinnlich

und leblos zugleich; geistig und albern und gewaltig" (Frisch 1992. 316).

Lyrischer im Ton ist die dritte groessere Landschaftsbeschreibung

dieses Textes, die eine Landschaft in der Nahe von Zurich beinhaltet, wo

Stiller mit dem Staatsanwalt zu Mittag isst und wo er vor vielen Jahren mit

Julika war.

Da heisst es z. B.: "[...] die Zeit streicht wie eine unsichtbare

Gebaerde ueber die Range" (Frisch 1992: 351) oder "[...] eine blaeuliche

Geraeumigkeit fuellt die leeren Wipfel der Baeume, und wieder lodert das

Welken an den Hausmauern empor, klettert das letzte Laub in gluehender

Brunst der Vergaengnis" (Frisch 1992: 352). Hier dominiert nicht die

Beschreibung, sondern die durch die Landschaft ausgeloeste Erinnerung.

"Es muss an mir liegen… Nocheinmal ist alles da, die Wespen in der

Flasche, die Schatten im Kies, die goldene Stille der Vergaengnis, alles

wie verzaubert […]" (Frisch 1992: 349).

In der letzten Beschreibung dominiert nicht Stiller, sondern seine

Erinnerungen an Julika. In den ersten zwei Beschreibungen ist seine

erwuenschte Realitaet vorhanden, er geniesst dabei jede Einzelheit, weil

diese Schilderungen sein Inneres widerspiegeln und mit ihm identisch sind.

Es kann festgestellt werden, dass nicht nur in Opposition 'die Schweiz-

Amerika' sprachliche Mittel zur Entstehung und zum Zusammenspiel der

Realitaeten beitragen. Es gibt konkrete Griffe, die der Autor einsetzt, um

die Mehrschichtigkeit der Textwirklichkeit emporzuheben. Joachim Kaiser z.

B. hat auf die Bedeutung der Klammer aufmerksam gemacht, die typisch fur

Frischs Stil sei. (vgl. Kaiser 1971: 50) Auch im "Stiller" finden sich

zahlreiche Klammern (linguistisch gesehen sind das Parenthesen), so heisst

es zum Beispiel ueber Spanienerlebnisse, wo sich White Gedanken ueber

Stiller macht: "Seine Feuerprobe bestand er (vielmehr: er bestand sie eben

nicht!) vor Toledo, wo die Faschisten sich im Alcazar veschanzt hatten"

(Frisch 1992: 139) Oder: "Natuerlich ritt ich schon im Morgengrauen (in

einem grossen Bogen, damit man mir nicht auf die Spur kam) wieder zu meiner

Grotte" (Frisch 1992: 158)

"Jim traute meinen Schaetzungen nicht, dabei hat die spaetere

Erforschung jener Kavernen (die Touristen erreichen sie heutzutage von

Karlbad her, New Mexico, mit dem Bus) ganz andere Masse ergeben." (Frisch

1992: 163)

Die Klammer ergaenzt und praezisiert, hat einen Realitaetsbezug, aber

sie ironisiert und distanziert auch, weisst auf "fremde Realitaeten" hin,

nicht nur in den Protokollen des 2., 4. und 6. Heftes, wenn das

eingeschobene (so sagt er selbst), (so sagt Sibylle) usw. das Erzaehlte

immer wieder vom Erzaehler abrueckt, sondern auch im eigentlichen Tagebuch:

"So (ungefaehr) werde ich zu Frau Julika Stiller-Tschudy sprechen [... ]"

(Frisch 1992: 343).

Es lohnt sich auch auf ein weiteres Aspekt, naemlich auf den Gebrauch

von Helvetismen aufmerksam zu werden. Sie treten im Text als Bestandteile

einer der vorhandenen Realitaeten auf.

Walter Schenkers ausfuehrliche Untersuchung behandelt diesen

Teilaspekt, naemlich die Rolle, die die schweizerische Mundart in "Stiller"

spielt. Wenn naemlich Stiller in der Rolle Whites seine Schweizer Herkunft

verleugnet, so muss er darauf achten, keine Helvetismen in seine

Aufzeichnungen einfliessen zu lassen. Dies gilt natuerlich vor allem fuer

die Hefte 1, 3 und 5, waehrend die Hefte mit gerader Numerierung ja das

wiedergeben, was ihm andere erzaehlt haben sollen; hier besteht also kein

Grund schweizerische Redewendungen aengstlich zu vermeiden. So gebraucht er

z. B. im 2. Heft den Ausdruck Coiffeur, den Max Frisch nach Schenkers

Auskunft als typisch schweizerisch empfindet. (Schenker 1969: 55) Ebenso

heisst es im 2. Heft: "Kurz darauf erschien die Schwester, um sich zu

erkundigen, ob Frau Julika wirklich nicht zu kalt hatte" (Frisch 1992:

144). Der Ausdruck ich habe kalt statt hochdeutsch mir ist kalt ist

eindeutig schweizerisch. Eine aehnlich schweizerische Wendung ist: "Die

Sonne machte sehr warm" (Frisch 1992: 415), ein Ausdruck, den der

Staatsanwalt in seinem Nachwort benutzt.

Ob es allerdings White wirklich gelingt, das Tagebuch von Helvetismen

freizuhalten, ist fraglich. So schreibt er z. B.: "Es war keine

Kleinigkeit, die steifen Gladiolen einigermassen zu buscheln (Frisch 1992:

250). Das Wort buscheln empfindet auch Frisch nach Schenker als

mundartlich. (Schenker 1969: 91) Je weiter das Tagebuch fortschreitet,

desto weniger achtet der Schreiber darauf, keine Helvetismen zu gebrauchen;

als er im 7. Heft seine Vergangenheit durch den Gebrauch der ersten Person

als die seinige anerkennt, schreibt er z. B. wieder Coiffeur (Frisch 1992:

382) oder die Sonne gibt warm (Frisch 1992: 349).

Sprache und Stil im Allgemeinen sind vielmehr von der Problematik und

Struktur des Romans abhaengig, wobei sich die eigentuemliche Situation

ergibt, dass der Titelheld, der sich ja schriftlich und muendlich gut zu

artikulieren versteht, gerade dann verstummt, wenn es um seine

persoenlichste, existenzielle Erfahrung geht. Das kann zugleich als Signal

der Umschaltung der Realitaeten gelten. Je weiter sich Stiller von seinen

existenziellen Erfahrungen entfernt, desto leichter findet er Worte. So zum

Beispiel, wenn er Knobel beredt und farbig seine Abenteuer erzaehlt.

"Das ist es: ich habe keine Sprache fuer die Wirklichkeit", heisst es

unter PS bereits am Ende des 1. Heftes. Und nach Reflexionen ueber die

Frage, wer er in Wirklichkeit ist, schliesst der Tagebuchschreiber diesen

Abschnitt nochmals mit dem Satz: "Ich habe keine Sprache fuer meine

Wirklichkeit! (Frisch 1992: 84) "Jedes Wort ist falsch und wahr, das ist

das Wesen des Worts [...]" (Frisch 1992: 175), steht im 3. Heft, und

schliesslich reflektiert Stiller im 7. Heft im Zusammenhang mit dem Sinn

des Tagebuchs:

"Schreiben ist nicht Kommunikation mit Lesern, auch nicht

Kommunikation mit sich selbst, sondern Kommunikation mit dem

Unaussprechlichen. Je genauer man sich auszusprechen vermochte, um so

reiner erschiene das Unaussprechliche, das heisst die Wirklichkeit, die den

Schreiber bedraengt und bewegt. Wir haben die Sprache, um stumm zu werden.

" (Frisch 1992: 330). "Wer schweigt, ist nicht stumm. (Juergensen 1972: 99)

Wer schweigt, hat nicht einmal eine Ahnung, wer er nicht ist."

Das Verstummen, das in letzter Konsequenz zum Wechsel der

Erzaehlerperspektive fuehrt, setzt ein, nachdem er seine Vergangenheit als

die seine anerkannt und, wenn auch nicht ohne Zwang, seine Identitaet als

Stiller akzeptiert hat. (vgl. Schenker 1969: 116) Vielleicht deutet auch

der Name Stiller auf dieses Verstummen.

Sprache und Stil werden also fuer den Tagebuchschreiber von dem

Verhaeltnis bestimmt, in dem sich das Dargestellte zu seiner persoenlichen

Problematik befindet, Er weicht dort, wo die Sprache die unmittelbare

Erfahrung nicht ausdrueckt, ins Parabolische aus, sucht sich in Geschichten

und Traeumen, in Bildern und Vergleichen auszudruecken.

Schlussfolgerung

Im Rahmen der vorliegenden Diplomarbeit haben wir uns zum Ziel gesetzt

das Phaenomen des Zusammenspieles der Textrealitaeten im Roman "Stiller" zu

erlaeutern.

Im Zusammenhang mit dem gesetzten Ziel haben wir uns mit folgenden

Aufgaben auseinandergesetzt und sind zu folgenden Schluessen gekommen:

. Der Aufbau des Romans, die Form und Funktion des Tagebuches, deren

sich der Autor bedient, beeinflussen die Offenheit des Romans. Die

Autorenposition von Max Frisch, die im Roman zum Ausdruck kommt,

bawaegt den Leser zum Nachdenken und macht ihn zu einem

'Mitspieler'. Diese unvollendete literarische Form bewirkt, dass der

Autor dem Leser sein eigenes Bildnis nicht aufzwingt. Die knappe

Information, die der Leser beim Rezeptionsvorgang erhaelt, ergibt

Leerstellen, die er mit eigenen Assoziationen, Theorien und

Vermutungen fuellt. Die Perspektivierung der dargestellten

Ereignisse fuehrt unter anderem zu verschiedenen

Interpretationsmoeglichkeiten.

. Erzaehlsituation und Erzaehlhaltung, insbesondere ihre zahlreichen

Aenderungen im Rahmen des Erzaehlens, treten als Signale der

Umschaltung der Realitaeten auf.

. Das Fehlen der einheitlichen Textwirklichkeit, naemlich das

Phaenomen "Text im Text" und damit verbundene Erscheinung "virtuelle

Textwirklichkeit" sind wesentliche Merkmale des Zusammenspieles

zwischen Fakt und Fiktion. Die Mehrschichtigkeit der

Textwirklichkeit kommt in "Stiller" in solchen Textfragmenten wie

erzaehlte Geschichten, parabolische Geschichten, Traeume zum

Ausdruck. Diese Behauptung wird in der vorliegenden Arbeit unter

anderem durch die psychoanalytischen Theorien der Traumdeutung und

Belletristik von Sigmund Freud bestaetigt. Diesen Theorien zufolge

verarbeitet der Mensch ihm widerliche Wirklichkeit und ersetzt sie

durch eine neue, erwuenschte, indem er traeumt und Geschichten

erfindet. Mit anderen Worten, er vertauscht Realitaeten und spielt

mit ihnen. Indem der Tagebuchschreiber Fiktionen waehlt, um sich

auszudruecken, indem er Geschichten erzaehlt, mit anderen Worten

moegliche Beispiele gibt, fuer das, was ihm wiederfahren ist,

versucht er sich selbst zu erkennen.

( Die Gegenueberstellung 'die Schweiz- Amerika', die sich im

Rahmen des Forschungsthemas von der zeitlich- raeumlichen Perspektive

aus vollzieht, ist zusammen mit der Untersuchung der Sprache und des

Stils wesentlicher Bestandteil der analysierten Erscheinung des

Zusammenspiels der Textrealitaeten. Beim Vergleich des

'schweizerischen' und 'amerikanischen' Textes offenbaren sich

inhaltliche und sprachliche Instrumente und Signale, die die

Autorenabsicht veranschaulichen.

- Die raeumliche und geistige Enge der Schweiz wird mit dem Sinnbild

der Weite, mit Amerika konfrontiert. Das kommt durch die Wortwahl

zum Ausdruck, wobei fuer die Schweiz z. B. Epitheta wie "klein,

angemessen, genuegend" und fuer Amerika solche wie "gross,

gluehend, unsaeglich, bluehend" gewaehlt werden.

- Diese Tatsache widerspiegelt sich auch auf der Zeitebene, wo

Vergangenheit und Gegenwart ineinander verflochten bleiben. Dadurch

entstehen Brechungen, so dass sich Ereignisse gegeseitig spiegeln

und erhellen. Die amerikanische, bzw. mexikanische Ereignisse

werden meistens im Praesens beschrieben, was von gewisser

Zeitlosigkeit, mit anderen Worten Fiktion, des dortigen Lebens

zeugt. Im 'schweizerischen' Text bleibt die Vergangenheit und

Gegenwart miteinander vermischt, was die Tatsache zuspitzt, dass

der Tagebuchschreiber seine Vergangenheit nicht loswird.

- Sprache und Stil werden fuer den Tagebuchschreiber von dem

Verhaeltnis bestimmt, in dem sich das Dargestellte zu seiner

persoenlichen Problematik befindet, er weicht dort, wo die Sprache

die unmittelbare Erfahrung nicht ausdrueckt, ins Parabolische aus,

sucht sich in Geschichten und Traeumen, in Bildern und Vergleichen

auszudruecken.

Die Untersuchung, die im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit

durchgefuehrt war, ist einer der Wege komplizierte Welt des Romans zu

beschreiben. Das Phaenomen des Zusammenspieles der Realitaeten hat

ausserdem mit der Beschreibung der obenerwaehnten Textfragmente noch nicht

sein Bewenden, denn der ganze Text basiert auf Wechselbeziehungen von

verschiedenen Perspektieven. Das kommt fast in jedem Satzt zum Ausdruck: in

Repliken, Beschreibungen von Gestalten, in der Wahl von Epitheta.

Das von uns gewaehlte Herangehen an die Analyse des Zusammenspiels der

Textrealitaeten im Rahmen eines fiktionalen Textes ist nur eines der

Verfahren die Autorenabsicht von Max Frisch zu verstehen.

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